Die Schönheit des Einfachen

Viele sind einen ähnlichen Weg wie Christina und Knut gegangen und haben es sich zur Aufgabe gemacht eines der vielen Gutshäuser der Umgebung wieder nutzbar zu machen. Wir haben aber auch mit einigen Landwirten gesprochen, die spannende Konzepte verfolgen und hätten am liebsten direkt jeden Hof besucht. Es waren gut 30 Leute da, obwohl sich eigentlich nur 15 angemeldet haben. Knut meinte, so läuft das eben. Dann bringt der eine noch die Frau mit, der nächste einen Freund und auf einmal ist die Runde doppelt so groß. Wenn wir doch nur halb so entspannt wären, wenn es darum geht für eine größere Runde zu kochen… Wir hatten jedenfalls einen unverhofft tollen und inspirierenden Abend. Was dazu geführt hat, dass wir zwar hundemüde in der „Alten Schule“ ins Bett gefallen sind, aber trotzdem nicht einschlafen konnten. Zu viele Gedanken. Und irgendwie ist die Sehnsucht nach einem kleinen Haus auf dem Land auch wieder ein Stück gewachsen. Am nächsten Morgen kamen dann unsere Freunde Kathrin und Simon in Rensow an und mussten sofort merken, dass Entschleunigung nicht unbedingt etwas mit Ruhe und Erholung zu tun hat. Feuerholz und Kohlen müssen geholt werden um die Öfen anzufeuern, denn eine Heizung gibt es in dem alten Haus nicht. Auch keinen Gas- oder Elektroherd, sondern antike, gusseiserne, holzbefeuerte Küchenhexen. Da gerade einer der Warmwasser-Boiler ausgefallen war, musste auch das Spülwasser auf dem Ofen erwärmt werden. Als Belohnung gab es erst einmal ein ordentliches Frühstück. Für leckeres Sauerteigbrot und Pfannkuchen nimmt man doch gerne ein bisschen Arbeit in Kauf. Eigentlich ging es so dann auch die nächsten Tage weiter. Unser Alltag in Rensow bestand hauptsächlich aus Holz holen, Öfen einheizen, kochen, spülen, spazieren gehen und gemütlichen, geselligen Abenden. Also irgendwie doch Entspannung pur, vielleicht sogar hier und da meditativ, aber vor allem Glück für die Seele. Denn etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen und sei es nur Wärme durch ein bisschen Holz und Feuer im Ofen, fühlt sich anders an, als viele Stunden am Tag vor dem Rechner zu sitzen und in den Tiefen der Sozialen Netzwerke zu versinken.

Wir fühlen uns in Berlin wahnsinnig wohl aber der Winter kann hier tatsächlich etwas deprimierend sein. Also was tun gegen den Winterblues? Entweder ins Warme fahren oder es sich gemütlich machen. Wir haben uns kurzerhand für letzteres entschieden und sind mit Freunden aufs Land gefahren um etwas abzuschalten und die Ruhe und das langsame Leben zu genießen. Schon vor einer Weile sind wir über ein schönes Haus in Mecklenburg gestolpert, die „Alte Schule“ in Rensow. Die Besitzer Christina & Knut haben aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts erbauten Haus etwas ganz besonderes gemacht. Die schlimmen Erneuerungen wie Plastikfenster, Laminat, Teppichboden, abgehangene Decken, Raufasertapete und 80er Jahre Fliesen haben sie komplett entfernt, um die alte Bausubstanz zum Vorschein zu bringen und den Charm des Hauses wiederzubeleben. Ganz nach dem japanischen Ästhetik-Konzept Wabi Sabi. Diese Ästhetik lädt den Betrachter dazu ein, die Schönheit des Unauffälligen und leicht zu Übersehenden wahrzunehmen. Das Bewusstsein der Vergänglichkeit aller Dinge ist ein zentraler Punkt. Jeder Kratzer, jede Delle, jeder Rostfleck sind ein Zeichen von Erfahrung und erzählen Geschichten. Durch natürliche Prozesse und Gebrauch unterliegen Gegenstände zeitlichen Veränderungen, so entsteht Schönheit durch Benutzung. Wer uns kennt weiß, dass wir Dinge mit Patina und Geschichte lieben. Es ist also kein Wunder, dass wir uns sofort in die alte Schule verguckt haben. Lehmwände mit Farbe aus den vergangenen Jahrzehnten, alte Öfen, schöne Holzdielen und eine sorgsam zusammengesammelte Einrichtung aus alten Schränkchen, Tischen, Textilien, Schalen, Tellern und Besteck. Im Grunde alles, was das Foodfotografen Herz schneller schlagen lässt. Christina und Knut haben sich nicht nur der „Alten Schule“ angenommen, sondern ein paar hundert Meter weiter ein altes Gutshaus vor dem Zerfall gerettet, in dem sie seit 2009 leben. Seit einigen Jahren versammeln sich jeden Mittwoch Freunde und Nachbarn an dem großen alten Holztisch in der Küche, um sich von den beiden bekochen zu lassen. Wir sind genau am richtigen Abend angekommen, um uns direkt in einer großen Runde von interessanten Menschen wiederzufinden.

Anschließend haben wir getrocknete Steinpilze und Tomaten, Lorbeerblätter und gekochte Kichererbsen hinzugegeben und die Suppe etwa 15-20 Minuten köcheln lassen. Am Ende wurde mit Salz, Cayennepfeffer, Thymian, geräuchertem Paprikapulver und Kurkuma gewürzt.

Mittags gab es dann eine leckere Suppe mit Kichererbsen und Pilzen. Dafür haben wir Kräuterseitlinge und Champignons in Scheiben geschnitten und mit fein gehackter Schalotte und Knoblauch in einem großen Topf in etwas Olivenöl angeschwitzt. Mit einem guten Schluck Weißwein abgelöscht und mit Gemüsebrühe aufgegossen.

Wir haben lange mit den beiden, die jahrelang selbst Vegetarier waren, über die Milchproduktion gesprochen. Wir waren sehr beeindruckt davon, wie die beiden Quereinsteiger ihren Bioland Hof führen. Nicht, dass er möglichst viel Gewinn bringt, sondern so, dass das Wohl der Tiere an oberster Stelle steht. Die Lämmer bleiben möglichst lange bei ihren Müttern und werden dadurch bestens mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt. So bleibt für die Käseproduktion viel weniger Milch übrig aber die Lämmer hüpfen fröhlich über die Wiesen. Jedes der Schafe hat natürlich einen Namen und sie sind wirklich wunderschön. Der Hof verkörpert das romantische Bild eines Städters von einem Bauernhof und es ist schön zu sehen, dass Landwirtschaft auch jenseits der Massentierhaltung möglich ist und tatsächlich praktiziert wird.

Auf einem unserer Spaziergänge haben wir die Schafscheune in Vietschow besucht. Es hieß es wäre Backtag und das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. An einem Tag in der  Woche backen die Besitzer in dem selbstgebauten Holzofen Brote und Hörnchen. Die wurden gerade frisch herausgeholt, als wir auf dem Hof ankamen. Perfekt! Claudia und Steffen haben bis vor wenigen Jahren noch etwas ganz anderes gemacht, bevor sie ihren Traum von einer kleinen ökologischen Landwirtschaft verwirklicht haben. Ihre ostfriesischen Milchschafe fühlen sich in der Gegend richtig wohl und können auf dem weitläufigen Land das ganze Jahr über genau das tun, was sie am meisten lieben: fressen, fressen, fressen. Claudia und Steffen verwöhnen ihre Schafe so richtig, denn nur so geben sie die beste Milch, aus der Rohmilchkäse in der eigenen Hofkäserei in Handarbeit hergestellt wird.

Da hieß es dann irgendwann erfinderisch werden. Also haben wir kurzerhand noch mehr Briketts angefeuert und die Glut auf der Backofendecke schön flächig verteilt. Und siehe da, innerhalb weniger Minuten kam ein köstlicher Duft nach geröstetem Gemüse aus dem Backofen. Zu dem Ofengemüse haben wir noch Grünkern gekocht und als Topping Mandeln mit Ahornsirup und geräuchertem Paprikapulver glasiert. All die Mühe mit dem Backofen hat am Ende natürlich dazu geführt, dass es diesmal besonders lecker geschmeckt hat! Wenn man alles viel bewusster zubereitet, dann lässt man sich das Mahl umso mehr auf der Zunge zergehen. Noch dazu in einer wunderschönen Essecke mit traumhaftem Licht und zusammen mit lieben Menschen.

Wir hatten uns extra einfache Gerichte für unsere Zeit in Rensow überlegt und hätten niemals gedacht, dass gerade das Ofengemüse zu einer kleinen Herausforderung werden könnte. Eigentlich ein absoluter Klassiker im Winter bei uns. Buntes Wurzelgemüse auf einem Backblech verteilen, mit etwas Olivenöl, Balsamico, Salz und Pfeffer vermischen, ab in den Ofen, fertig. Wenn dann der Ofen so funktioniert, wie man möchte. Knut hatte uns extra ein Ofenthermometer mitgegeben, damit wir einen groben Überblick über die Hitze im Backrohr bekommen können. Doch leider wollte die Temperatur 100 °C einfach nicht überschreiten. Die Kohlen im Ofen glühten, doch das Backofen-Fach bekam einfach nicht die nötige Hitze.

Der Hof funktioniert als Gesamtgebilde, mit sich ergänzenden Betriebsteilen, wodurch z.B. auf einen Zukauf von Düngemitteln verzichtet werden kann, da die Hofschafe und Pferde das auf natürlichem Weg erledigen. Das Saatgut kann man zum Beispiel bei Dreschflegel bestellen und das Gemüse auch in Berlin bekommen. Donnerstags von 12-19 Uhr am Kollwitzplatz auf dem Markt der Grünen Liga oder in der Markthalle Neun jeden Samstag von 10-18 Uhr, solange der Vorrat reicht. Grete möchte das Sortiment möglichst abwechslungsreich gestalten und bietet daher neben Gemüse und Kräutern auch saisonales Obst und Säfte (verschiedene Apfelsorten, Apfel-Quitte, Rote-Beete u.a.) an. Aber zurück zu unserem Kochabend! Eine kleine Aufregung schwingt immer mit, ob das Essen für alle reicht und es allen schmeckt, aber im Grunde hatte die Gelassenheit von Christina und Knut langsam auf uns abgefärbt. Wir wussten, dass wir ein unkompliziertes aber leckeres Essen vorbereitet hatten. Und dennoch konnten wir die Gäste mit der ein oder anderen Idee überraschen und inspirieren. Wir haben den Abend sehr genossen, sowieso natürlich die ganzen Tage dort, in diesem kleinen Dorf in Mecklenburg.

Nachts fing es dann an zu schneien und am nächsten Morgen sah alles ganz verzaubert aus. Die Böcke von Christina und Knut sind über den gefrorenen Teich ausgebüxt und standen auf einmal vor unserer Tür. Wir haben sie mit ein paar Äpfeln gefüttert, bevor wir Sack und Pack im Auto verstaut haben und hätten sie am liebsten mit eingeladen. Der Abschied fiel uns ziemlich schwer. Die große dänische Dogge Triglaf hat sich im Gutshaus extra fest an uns gedrückt, sodass wir beide beinahe umgefallen wären. Wir haben so viele Menschen (und Tiere) ins Herz geschlossen, dass wir uns ganz schnell wieder auf den Weg in den Nordenosten machen müssen.

Christina und Knut haben abends öfter einmal mit einer Flasche Wein bei uns vorbeigeschaut. Die beiden sind voller Tatendrang und wahnsinnig kreativ, wir haben uns also einige Pläne für gemeinsame Projekte in der Zukunft zurechtgesponnen. Wir möchten die beiden in nächster Zeit definitiv noch öfter besuchen. Sie fragten uns auch, ob wir nicht Lust hätten am letzten Abend vor unserer Abreise mit ihnen zusammen zu kochen, damit auch sie und ein paar Freunde unser Essen kosten könnten. Es würden auch nur um die 20 Leute kommen. Ufff. Wie gesagt, wir sind nicht so routiniert darin so viele Menschen zu bekochen, wollten aber das spannende Angebot auf keinen Fall ablehnen. Wir haben uns also von der Gelassenheit der beiden anstecken lassen und spontan geschaut, was in der Vorratskammer zu finden ist und wie wir daraus ein abwechslungsreiches Abendessen zusammenbekommen. Wir haben uns zum einen für eine geröstete Möhrensuppe und zum anderen für Belugalinsen mit geraspelter Rote Bete und Holunderbeerensaft, gebackenem Rotkohl und Meerrettich entschieden. Knut und Christina haben Sauerteigbrot mit etwas Honig und Kümmel angeröstet und einen Salat aus eingelegten Bohnen, Kapern, Chicoree und viel Knoblauch gezaubert. Ihr Sohn Bendix ist die ganze Zeit zwischen uns herumgewuselt und hat überall geholfen. Er möchte später einmal Koch werden. Die Küchenabfälle konnten wir nach dem Kochen direkt an die Schafe verfüttern. Ganz schön toll solche Schafe. Den Meerrettich für unser Linsengericht mussten wir erst noch besorgen. Nicht auf dem nächsten Markt, wie wir es in Berlin gemacht hätten, sondern direkt frisch vom Feld! Jörg, ein Freund der Familie, hat sich einen Spaten geschnappt und ist mit uns losgezogen. Er ist der Mann von Grete, sie betreibt eine Öko-Gärtnerei mit Samenbau und Gemüseverkauf. Ihr Ziel ist es alte Gemüsesorten zu erhalten und das möchte sie mit einer bäuerlichen und nachhaltigen Produktionsweise erreichen.